Freitag, 21. Oktober 2011

Eine kleine Übung zwischendurch...



4.2.: Lebensgeschichte erzählen (von einer ausgedachten Figur):
Mein Name ist Bernhard Wiesemann, ich bin Restaurant Tester.
Wie ich zu dem Beruf gekommen bin? Nun ja, meine Mutter hatte ne kleine Imbissbude. Dort war sie tagein, tagaus. Und ich musste mit.
Bratenfett, Kaffeeflecken, das Brutzeln des Fleisches und das Blubbern des Kochwassers. Alles meine täglichen Begleiter.
Ich war nicht groß und das viele gute Essen meiner Mutter machte aus mir das, was ich jetzt bin.  
So ging es jahrelang und je älter ich wurde, desto mehr wurde ich mit einbezogen.
Meist  für den Abwasch und die Putzarbeiten aber auch, um neue Speisen zu probieren, die meine Mutter für die Speisekarte und Wochenangebote ausprobierte.
Als meine Mutter starb, stand ich da: Mit einer Imbissbude und ohne Ausbildung.
Ich kannte nichts anderes, als Essen, Kochen und Abwaschen. Deshalb lernte ich Koch.
Schnell merkte ich, dass es noch mehr gab, als die paar Gerichte aus der Bude. Dass man mehr aus Kartoffeln machen konnte, als Pommes und Bratkartoffeln.
Mein Ehrgeiz war geweckt und ich bildete mich weiter. Lernte und lernte, kochte und kochte.
Mein Name wurde bekannt, aber nachdem ich mir bei einem Unfall meine Hand verletzte, war‘s vorbei mit Kochen.
Ich dachte, das war‘s. Bis ein befreundeter Koch mir anbot, in seinen Restaurantketten als Testesser zu arbeiten. Tja, so hatte es begonnen.
Ich brauche mir um Essen keine Sorgen mehr zu machen.
Alles, was ich machen muss, ist essen, ein paar Notizen  zu machen, eine anschließende Kritik verfassen und hoffen, dass mein Körper mir manch kulinarische Entgleisung verzeiht.
Mittlerweile bin ich ein ungern gesehener Gast, vor dem die Leute Angst bekommen.
Sie wissen: Wenn das Essen nicht schmeckt, kann ich ungemütlich werden.

4.3.: Eine Figur einfügen:
Ein Restaurant, mitten in Hamburg. Die großen Scheiben der Fenster glänzen frisch geputzt in der Sonne.  Die Gäste auf der gut gefüllten Terrasse sitzen unter großen, roten Sonnenschirmen an ihren Plätzen. Hier und da sieht man die Kellner wie emsige Bienchen umher laufen. Sie bringen Getränke an die mit weißen Tischdecken geschmückten Tische, nehmen Bestellungen auf und lächeln nonstop, sichtlich bemüht, auf einen Gast besonderen Eindruck zu machen.
Herr Wiesemann, den Restauranttester.
Obwohl dieser mit seiner kleinen, pummeligen Figur kaum jemandem furchterregend auffallen würde, spürt man, wie jeder Kellner vor Angst erzittert.

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Anders und doch gleich



Anders und doch gleich


Während ich das schöne Wetter nutze und die Hecke zu den Nachbarn schneide, schweift mein Blick hinüber in deren Garten.
Komisch, Herr und Frau Boisenberg sind nicht draußen.

Es ist bei ihnen Ritual: Sobald die Sonne scheint, liegen sie auf ihren Liegen. Dicht aneinander gestellt sind diese. Die Armlehnen stehen so eng zusammen, dass sich ihre Arme aneinander kuscheln und ihre Hände mühelos ineinander verschlungen sind.
So liegen sie da, erzählen sich Geschichten, seufzen zufrieden oder schlafen im Sonnenschein. Immer nebeneinander, den ganzen Tag.
Ich habe nie gesehen, dass die Liegen anders standen.
„Das gibt unschöne Stellen im Rasen,“ hatte mir Herr Boisenberg mal erzählt.
Er hatte zuvor mit Mühe die Beine zurück auf die gelben Druckstellen geschoben, nachdem er die Wiese gemäht hatte.

Mir war es eigentlich egal. Mein Mann und ich amüsierten uns über die beiden.
Nie verlief deren Tag anders. Immer nach dem gleichen Muster.
Aber heute? Heute war keiner zu sehen. Das Haus wirkte wie verlassen.
Ob sie verreist waren? Nein, die Boisenbergs verreisten nie. Das hatte sie mir gerade erst letzte Woche erzählt, als wir uns mit Frau Müller unterhielten.
Ich schnitt die Hecke weiter und tadelte mich, mir nicht so viel Gedanken um andere zu machen.
Die nächsten Tage und Wochen blieb das Wetter sonnig. Die Gartenarbeit verlangte viel ab und täglich schaute ich in den Garten der Boisenbergs hinüber. Keiner der beiden war zu sehen.
Das Gras war hoch gewachsen und die Holzliegen verdreckt mit Vogelkot.
Herr Boisenberg hätte es verhindert, dass sein Garten so aussah.
Ich begann doch, mir Sorgen zu machen und machte mich auf den Weg zum Garten von Frau Müller.
Sie war fleißig bei der Gartenarbeit und als ihre alten Augen mich erblickten, lächelte sie und stand schwerfällig auf.
Kurze Zeit später saßen wir mit einem Pott Kaffee auf der Bank, ließen uns von den Sonnenstrahlen liebkosen, vom Wind streicheln und lauschten den kreischenden Möwen.
Ich hatte nach den Boisenbergs gefragt und sie erzählte ohne Pause.
„Die arme Erna, sie tut mir so leid“, sagte sie, nachdem sie berichtete, dass Herr Boisenberg einen Schlaganfall hatte.
„Sie will ihren Erwin nicht einen Moment alleine lassen. Sie teilt sich mit ihm das Zimmer und hat für die Reha ein Zimmer gemietet.“
Frau Müller nahm einen Schluck Kaffee und hielt die Hand zum Schutz gegen die Sonne an ihre Stirn, als sie mich ansah.
Wie ihr Sohn mir erzählte, wird er nie wieder laufen können. Und ob er wieder sprechen wird, steht in den Sternen. Sie haben einen Pflegedienst beauftragen müssen. Wissen sie, er hat Pflegestufe zwei und Erna ist nicht mehr die jüngste. Vielleicht braucht er sogar Pflegestufe drei.“
Ich hatte Mitleid. Herr Boisenberg war ein kräftiger, dominanter Mann. Er strotzte vor Kraft, machte alles in Haus und Garten und hatte nie Hilfe gebraucht. Frau Boisenberg erzählte immer voller Stolz von ihrem
Mann, der während seiner Zeit als Polizist für Ruhe und Ordnung sorgte. Jetzt schien es, als würde er nichts mehr alleine können.
Nach meinem Besuch bei Frau Müller und meinem Versprechen, auf den Garten der Nachbarn zu achten, setzte ich die Arbeit bei mir fort.
Ich nutzte die kommenden Tage und Wochen, mich um das Grundstück der Nachbarn zu kümmern, damit sie es bei Rückkehr so vorfanden, wie sie es verlassen hatten.
Eines Morgens hörte ich von nebenan den Rasenmäher. Ich schaute aus dem Küchenfenster und sah Michael, den Sohn der  Boisenbergs, wie er den Rasen mähte. Er stellte eine Liege akkurat zurück an ihren Platz und trug die andere fort. Kurz darauf kam er mit Herrn und Frau Boisenberg zurück in den Garten.
Erna Boisenberg hatte enorm abgenommen. Ihre Haare waren stark ergraut.
Trotzdem lächelte sie glücklich und ließ die Hand ihres Mannes nicht los, während sie neben seinem Rollstuhl ging.
Erwin Boisenberg sah erschreckend aus: Aus dem kräftigen, großen Polizisten war ein in sich zusammen gesunkener, dünner Mann geworden, dessen rechte Gesichtshälfte einer Fratze ähnelte. Sein Auge war weit aufgerissen, sein Mundwinkel hing nach unten und sein rechter Arm ruhte auf seinem Schoß. Die Hand wirkte verkrampft.
Michael schob den Rollstuhl dicht an die Liege, die Armlehnen berührten sich und während sich Frau Boisenberg auf das Polster niederließ, hielt sie die Hand ihres Mannes fest umschlungen.
Sie sahen sich an, lächelten und genossen wieder gemeinsam Tag für Tag die Sonnenstrahlen.