Dienstag, 26. März 2013

3. Geschichte: Rocky, die Operette


Wie schon beim 366 Tage Projekt im letzten Jahr, sind die von Euch vorgeschlagenen Worte gelb markiert. Ihr könnt jetzt, unter dieser Geschichte die Vorschläge für die nächste Geschichte abgeben. Genaue Infos zu diesem Projekt findet Ihr hier: Regeln
Viel Spaß beim Lesen der dritten Geschichte


Rocky, die Operette

"Bist du da unten?"
Phil hielt in seiner Arbeit inne und legte den Hammer zur Seite.
Hört man doch, dass ich hier bin, dachte er. Seit Tagen schon arbeitete er  an dem alten Möbelstück und entfloh der schwülen Nachmittagshitze. Die Kellertreppe knarrte, als Peggy in ihren giftgrünen Stöckelschuhen schlacksig die Stufen nach unten kam.
"Solltest du nicht lieber oben bleiben? Hier ist alles staubig."
Sie schlang ihre Arme um den Oberkörper.
"Ganz schön frisch hier unten."
Ach, was du nicht sagst. Manchmal konnte sie ganz schön nerven. Mit ihrem Outfit, das dem eines Freudenhauses gerecht werden konnte, war sie hier so fehl am Platz, wie ein Containerschiff in der Wüste.
Sie ging zum alten Schrank, aus dem er die rostigen Nägel gezogen und die alte Lackschicht abgeschliffen hatte. Fast liebevoll strich sie mit ihren rot lackierten Fingernägeln über die raue Oberfläche. 
"Kaum zu glauben, dass das Omas alte Anrichte war."
Sie blickte auf und Phil erkannte eine Träne in ihrem Augenwinkel. Wie sie sich doch innerhalb kurzer Zeit so verändern konnte. Heute Morgen noch saß sie am Esstisch, mit verschmiertem Mund vom Marmeladen Toast. Wie ein Kind wirkte sie. Klein und zerbrechlich.
Sie hatte den Tod der Oma lange nicht verkraften können und sich während Omas schwerer Krankheit fast utopische Hoffnungen gemacht. Die Gespräche mit den Ärzten, die ihnen deutlich sagten, dass es keine Möglichkeiten mehr gab, hatte sie ignoriert und war schwer  verletzt, als Phil sie auf den Boden der Tatsachen holte. Es schmerzte ihn genauso, sich mit dem Verlust der geliebten Oma auseinander zu setzen, doch umso mehr machte es ihn fertig, seine Schwester zu sehen, die in einer Scheinwelt lebte. Den einen Moment befand sie sich im Freudentaumel, den nächsten stürzte sie in ein tiefes Loch. Und Phil zog sie da jedes Mal gleich mit rein.
Jetzt, knapp ein halbes Jahr nach Omas Tod, ging es bergauf und Peggy begann, ihr Leben wieder voller Freude und  Interesse zu leben. Sie waren zusammen, wie Oma es wollte, in das große Haus gezogen und Phil arbeitete die alten Möbelstücke auf. Die Zeit, die er hier verbrachte, war wie ein Stück Freiheit. Er konnte sich vom Arbeitsalltag ablenken. Sich körperlich bis zur Erschöpfung verausgaben. Und sich über die fertigen Möbel freuen. Obwohl dieser Schrank ihm alles abverlangte.
"Und, wann beginnt deine Operette?"
"Das ist keine Operette! Rocky ist ein Musical!"
"Tschuldigung, damit kenne ich mich nicht aus. Ich gehe lieber auf Rockkonzerte."
Er blickte wieder auf das Möbelstück, das ihn in seinem mangelnden Fortschritt der Neuentstehung eher verhöhnte.     
"Willst du nicht mitkommen? Claudelle kann bestimmt noch eine Karte organisieren. Dann kommst du hier mal raus und kannst gleich den Unterschied zwischen Musical und Operette lernen."
Ihr Schmunzeln steckte ihn an. Sein Blick wanderte über ihr Outfit. Hübsch sah sie aus, in ihrem Polyesterkleid und den zurecht gemachten Haaren. Aber wenn er ihr Kleid erwähnen würde, würde sie ihn sicherlich wieder korrigieren, was das Material anging. Er sah auf seine Hände. Ein blutiger Fingernagel, Dreck unter den anderen. Zerrissene, raue Handflächen und Kratzer an den Unterarmen. So würde ihn niemand rein lassen, selbst wenn sein Anzug von Gucci oder was auch immer wäre.
"Ne lass mal lieber. Ich will den Schrank heute noch so weit fertig bekommen, dass ich ihn morgen lackieren kann."
Peggy zuckte mit den Schultern. Sie sah ein wenig enttäuscht aus. Doch nur für einen kurzen Moment. Sofort war die Vorfreude auf das Musical wieder da und ein Lächeln erschien auf ihrem hübschen Gesicht.
"Mach aber nicht zu lange."
"Viel Spaß bei Rocky."
Das Knarren der Treppenstufen verhallte nach kurzer Zeit und Phil machte sich weiter daran, die Rückwand festzunageln. Beim Gedanken an das wohlverdiente Feierabendbier bekam er einen trockenen Mund und zog sein Arbeitstempo an.
  

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